Teil 1/2: Es ist ja so, dass über sieben Milliarden Menschen auf der Welt leben. Und es ist auch so, dass „Religion“ ein grundlegender Bestandteil der Menschheit ist. Es gibt zahlreiche Religionen auf der Welt, fast jeder Mensch hat eine Religion. Woran man glaubt, ist vor allem abhängig davon, wo auf der Erde man lebt, in welchem Kontinent und in welchem Land – und welche Eltern man hat. Kaum jemand wird gefragt, woran er oder sie glaubt – man wird schon als Baby einer Religion zugeordnet.
Ich persönlich bin in der Türkei mit zwei Jahren beschnitten worden – was ich auch nicht schlecht finde – genau so wie die Christen ihre Babies taufen lassen. Ich will nicht dagegen sprechen, dass Babies automatisch eine Religion erhalten. Mir ist es nur wichtig, dass man es sich bewusst macht – niemand sucht sich seinen Glauben frei aus, man wird nicht gefragt.
Viele Menschen sind gläubig ohne genau zu wissen, was wirklich der Inhalt ihrer Religion ist. Viele kennen den Ursprung und die Grundlagen gar nicht. Noch weniger Menschen kennen den Inhalt anderer Religionen. Und doch werfen sie sich gegenseitig ihre Religion vor, meinen, die „andere“ Religion wäre schlechter als die eigene. Ich finde das sehr schade.
Obwohl ich damals mit zwei Jahren beschnitten wurde und meine Eltern Moslems sind, habe ich nie meine Religion wirklich ausgeübt. Ich bete nicht grundsätzlich – habe aber schon gebetet. Ich faste nicht grundsätzlich – habe aber schon mal gefastet, um es auszuprobieren.
Ich durfte auch die Erfahrung machen, drei Monate lang in eine christliche Kirche gehen zu dürfen – und es hat mir sehr gut gefallen. Ich war damals neugierig, wollte den Unterschied kennen lernen und verstehen, und ich muss sagen, dass ich mich dort sehr angenehm gefühlt habe. Es ist sogar soweit gekommen, dass mir die Haare hochstanden, so berührt war ich. Da wusste ich, das hier kann nicht falsch sein. Und doch bin ich kein Christ geworden.
Ich bin auch als Moslem in der Moschee sehr berührt worden, ich habe es genau so intensiv erlebt. Leider habe ich bis heute diese Erfahrungen noch nicht mit dem Judentum machen können. Ich wünsche mir sehr, auch dort einmal bei der Religionsausübung dabei sein zu dürfen. Das habe ich mir für die nahe Zukunft vorgenommen, das will ich kennen lernen.
Die drei Weltreligionen
In der 12. Klasse, kurz vor dem Abitur, ist mir etwas sehr Schönes passiert. Wir haben im Deutschunterricht „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing gelesen. In diesem Theaterstück geht es um Judentum, Islam und Christentum. Für mich war es ein bewegendes Thema. Der Zeitpunkt war gekommen, sich nun näher mit den drei großen Weltreligionen zu befassen.
Nachher ist es dann so gekommen, dass ich von unserem Deutschlehrer, Herrn Peters, so viel gelernt habe, dass ich Religionen viel besser verstehen konnte als zuvor. Damals gab es ja noch nicht das Internet wie heute. Er hat uns so viele Grundlagen vermittelt, mit Videos, Büchern, Hörspielen, Texten. Mein Wissen und Verstehen wurde umfassender als alles zuvor, was ich über Religionen und Glauben gehört hatte.
Ich denke seitdem, Lessing hat es sehr gut beschrieben. Die drei Religionen sind wie eine Familie: Ein Vater mit drei Söhnen. Der folgende Text ist aus „Nathan der Weise“ und zeigt, was ich sagen will.
Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) – Nathan der Weise
SIEBENTER AUFTRITT
Die Ringparabel
. Der Jude Nathan kommt zu Sultan Saladin. Dieser fragt ihn nach der richtigen Religion. Nathan denkt nach und entschließt sich, seine Ansicht als eine Art „Märchen“ verpackt mitzuteilen.
Der Sultan ist begeistert und vergisst alle bösen Hintergedanken gegen Nathan.
„Vor grauen Jahren lebt‘ ein Mann in Osten, der einen Ring von unschätzbarem Wert aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, und hatte die geheime Kraft, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer in dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, daß ihn der Mann in Osten darum nie vom Finger ließ; und die Verfügung traf, auf ewig ihn bei seinem Hause zu erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring von seinen Söhnen dem geliebtesten; und setzte fest, daß dieser wiederum den Ring von seinen Söhnen dem vermache, der ihm der liebste sei; und stets der liebste, ohn‘ Ansehn der Geburt, in Kraft allein des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde.
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drei Söhnen; Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, Die alle drei er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald der dritte, – sowie jeder sich mit ihm allein befand, und sein ergießend Herz die andern zwei nicht teilten, – würdiger des Ringes; den er denn auch einem jeden die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Das ging nun so, solang es ging. – Allein es kam zum Sterben, und der gute Vater kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort verlassen, so zu kränken. – Was zu tun? –
Er sendet in geheim zu einem Künstler, Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, zwei andere bestellt, und weder Kosten noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, vollkommen gleich zu machen. Das gelingt dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, kann selbst der Vater seinen Musterring nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft er seine Söhne, jeden insbesondre; gibt jedem insbesondre seinen Segen, – und seinen Ring, – und stirbt.
Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder mit seinem Ring, und jeder will der Fürst des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht erweislich. Die Söhne verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, unmittelbar aus seines Vaters Hand den Ring zu haben. – Wie auch wahr! – Nachdem er von ihm lange das Versprechen schon gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu genießen. – Wie nicht minder wahr! – Der Vater, beteurt‘ jeder, könne gegen ihn nicht falsch gewesen sein; und eh‘ er dieses von ihm, von einem solchen lieben Vater, argwohnen lass‘: eh‘ müss‘ er seine Brüder, so gern er sonst von ihnen nur das Beste bereit zu glauben sei, des falschen Spiels bezeihen; und er wolle die Verräter schon auszufinden wissen; sich schon rächen.
Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel zu lösen da bin? Oder harret ihr, bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? – Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; vor Gott und Menschen angenehm. Das muß entscheiden! Denn die falschen Ringe werden doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei von Euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück? und nicht nach außen? Jeder liebt sich selber nur am meisten? – Oh, so seid ihr alle drei betrogene Betrüger! Eure Ringe Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring vermutlich ging verloren. Den Verlust zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater die drei für einen machen. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: Geht nur! –
Mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring den echten. – Möglich; daß der Vater nun die Tyrannei des einen Rings nicht länger in seinem Hause dulden willen! – Und gewiß; daß er euch alle drei geliebt, und gleich geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, Um einen zu begünstigen. – Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf‘! Und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: So lad ich über tausend tausend Jahre sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der bescheidne Richter.“
Kemal Arkin‘ s Fazit aus der Ringparabel
Ich habe gelernt, bescheiden zu sein und alle Menschen gleich zu achten – egal welche Religion sie haben und auch, wenn sie Atheisten sind. Ich bin für die Aufhebung aller Schranken und Barrieren. Ich persönlich denke, dass es auch heute noch zu wenig Aufklärung über Religion gibt. Mutige Menschen wie Lessing, die über Religionen geschrieben haben, sind noch nicht genügend gekommen. Ich wünsche mir eine mutige Aufklärung, die diese Schranken und Barrieren überwindet.
Eigentlich hat Lessing schon alles über Religionen gesagt, warum tun wir uns damit bloß so schwer? Der Israel-Palästinenser Krieg steht so im Gegensatz zu dem, was Lessing geschrieben hat – und doch guckt die Welt-Öffentlichkeit zu. Dabei sollte man endlich Frieden schließen.
Wir haben schon viel geschafft – auch dank Lessing – doch es gibt weiterhin genug zu tun. In meinen Augen sollten sich die drei Religionen in der Mitte treffen. Oder vielleicht gehe ich noch weiter: Auch alle anderen Religionen und auch die Atheisten sollten bei der „Aufklärung aller Menschen“ mit dabei sein, dazugehören. Wir sollten da vorbildlich sein.
So wären wir irgendwann nur noch Ein Land, Eine Sprache, Ein Miteinander. Kemal Arkin ist davon überzeugt, dass alles möglich ist. Wir sollten keine Zeit vergeuden, uns alle gemeinsam dagegen stellen, wenn Menschen ausgegrenzt werden.
Was ich auch besprechen möchte: Dass es keine Rassentrennung, keine Kriege mehr gibt. Wenn wir lachen, sollten wir miteinander lachen. Wenn wir weinen, sollten wir füreinander weinen.
Ich würde mir wünschen, dass es mehr Filme, Bücher und Theaterstücke gibt, die diesen Gedanken weitertragen in verschiedenen Weisen. Nur wenn sich dieser Wunsch immer wieder und wieder wiederholt, ist es möglich, dass der Traum wahr wird. Damit ehre ich Lessing und danke ihm für seine erfolgreiche Arbeit. Danke.
Lessings Rinparabel
Kapitel 5:
Teil 1:Dass jeder Glaube recht sei – wuenscht sich Kemal Arkin
Teil 2:Die Ringparabel von Gotthold Ephraim Lessing – Nathan der Weise – Siebenter Auftritt
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