Teil 1/3: Mit 29 wollte ich sterben. Ich hatte alles schon genau geplant, wollte wirklich ernsthaft sterben. Alles kam damals aufeinander, was man sich nur vorstellen konnte. Und ich wusste nicht damit umzugehen. Arbeit verloren, keine Freundin, Eltern weit weg in Istanbul, und mein Traum von Abitur und Studium schien plötzlich unmöglich.
War es eine Strafe gewesen für meinen Hochmut, mehr sein zu wollen als ein gut verdienender Facharbeiter? War es meine Schuld, weil ich das Abendgymnasium angefangen hatte und deshalb nur noch Frühschichten wollte? Hatte ich mein Glück leichtfertig aufs Spiel gesetzt – und nun zu Recht alles verloren?
Ich hatte wochenlang das Meisterbüro genervt mit dem Wunsch, nur noch in Frühschicht zu arbeiten und schließlich bekam ich meinen Willen: Ich landete in einer anderen Halle an einem anderen Arbeitsplatz. Ich war so glücklich! Entspannt nachmittags zur Nachhilfeunterricht, abends zum Abendgymnasium, ich war sicher, mit Fleiß und Durchhaltevermögen konnte ich alles schaffen. Mein Vater war nicht so begeistert von meinen Plänen. „Was willst Du mit dem Abitur, wo Du schon 27 bist?“ Er war niemals gegen meine ehrgeizigen Pläne, aber er konnte nicht verstehen, was mir an einem Abitur so wichtig war.
Ich landete also in dieser Halle – und schon am ersten Tag begann ein Martyrium, das mich nach und nach zermürbte. Der Vorarbeiter, Uwe R., wusste, dass ich mehr verdiente als er, und das ärgerte ihn. Er hatte viel Ahnung von Computern und war trotz schlechter Ausbildung deswegen bis zum Hallenleiter aufgestiegen. Es verletzte seinen Stolz, dass ich nun auch noch Abitur machen wollte – und er fühlte sich vielleicht auch dadurch in seiner Position bedroht.
Gemeinsam mit seinen Kollegen, Bodo K. und Peter E. machte er mir das Leben Tag für Tag zur Hölle. Zum Ende der Schicht nahm er einmal meine Tasche mit den Büchern, die ich für die Nachhilfe brauchte, zog sie mit dem Kran in 8 Meter Höhe und ging. Ich konnte es nicht fassen! Ich musste doch zur Schule, und da oben hing die Tasche, was sollte ich tun? Es dauerte lange, bis ich einen Gabelstaplerfahrer überredet hatte, mich frei stehend so hoch wie möglich zu hieven. Heute weiß ich, wie unverantwortlich und lebensgefährlich meine Kletteraktion damals war, aber ich dachte nur an meine Bücher – und ich schaffte es tatsächlich. Schmutzig und abgekämpft erreichte ich mit einer halben Stunde Verspätung den Unterricht.
Peter E. stieß gerne, wenn er mich sah, ein Stoßgebet zum Himmel aus: „Adolf, komm runter, wir brauchen Dich!“. Bodo K. warf mir immer wieder vor, warum ich so viel verdienen würde – mehr als ein Vorarbeiter. Einmal warf Bodo K. sogar einen schweren Holzkeil nach mir, der mich nur knapp verfehlte. Tag für Tag erduldete ich Schmähungen, Sticheleien, Beleidigungen – und die anderen Hallenarbeiter sahen dem Ganzen stumm zu. Ich war allein.
Ich war in den sechs Monaten unkonzentriert geworden, abgelenkt, unaufmerksam. Zweimal hatte ich einen Arbeitsunfall – was mir in den 12 Jahren zuvor nie passiert war. Der Unfallbeauftragte rief mich sogar zu sich und fragte nach den Ursachen für die Unfälle. Aber ich wollte nicht über die Gründe reden, das hätte meine Situation nur noch verschlimmert. Ich blieb stumm. Eins habe ich gelernt in dieser Zeit: Die kleinen Dinge sind die schlimmsten. Man kann sie nicht fassen und nicht gegen sie kämpfen, sie sind unberechenbar und man ist ihnen ohnmächtig ausgeliefert.
Und dann kam nach sechs Monaten auch noch dieser Brief mit der Kündigung. Das war 2004, viele Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, und viele Menschen in dem Werk waren betroffen. Doch es war kein Trost, dass es sich um eine Massenkündigung handelte, ich machte mir furchtbare Vorwürfe, dass ich auf diese Frühschicht bestanden hatte – und deshalb meine gute Position, ja mein ganzes Glück verspielt hatte. Als diese Kündigung kam, wollte ich einfach nur noch Selbstmord begehen. Ich wollte aber nicht meinen Eltern damit Kummer machen, wollte auch meine Nachbarn nicht mit da hineinziehen, wollte niemandem Schuldgefühle machen.
Kapitel 2:
Teil 1:Und dann denkst Du an Selbstmord – gesteht Kemal Arkin
Teil 2:Ich gab dem Leben eine Chance – erzaehlt Kemal Arkin
Teil 3:Durch Mobbing zum Mann wurde Kemal Arkin
Die Geschichte zeigt einmal mehr auf, wie gefährlich Mobbing ist und wie es ausarten kann. Ein Onkel von mir geriet in eine ähnliche Situation. Es fehlt einem dann auch an vernünftigen Schlaf, da man sich immer Gedanken darüber macht wie wohl der nächste Tag ausgehen mag.
Die Aktion mit dem Gabelstapler zeigt aber nicht nur Unvernunft, sondern den Willen etwas erreichen zu wollen.
Man darf auch eines nicht vergessen: Es gibt wohl immer jemanden, dem es schlechter geht als uns. Diesen Umstand zu begreifen führt unweigerlich dazu, dass der eigene Selbstmord zur reinen Ironie verkommt.
Ich bin gespannt wie es weitergeht.
Auch ich habe mal ein Jahr lang die Mobbing-Hölle durchschritten – vom Sommer 2003 bis zum Sommer 2004. Aus der selbstbewussten vom Glück verwöhnten Eva wurde in diesem einen einzigen Jahr eine unsichere, von Selbstzweifeln geplagte schwache Frau, die Jeder locker umpusten konnte. Danach habe ich mich selbstständig gemacht, da ich wusste, das darf mir nie nie wieder passieren. Also kann ich rückwirkend sagen: „Danke Inge! Du hast mir mein herrliches Leben geebnet mit Deinem Neid, Deinen sadistischen Minderwertigskeitskomplexen und Deiner Eifersucht auf alles, was ich war und konnte.“
Hallo Eva,
ich bin froh, Dich kennengelernt zu haben. Ich wünsche Dir beruflich und privat alles Gute.
Hallo Ralf,
es freut mich, mit Dir hier zu schreiben. Der Fall Mobbing nimmt leider immer mehr zu – auf der Arbeit, Schulen, Universitäten usw.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur bestätigen, je früher man was gegen Mobbing unternimmt, desto besser ist es auch.
Gruß