Wie der kleine Kemal deutsch lernte – erzaehlt Kemal Arkin

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Teil 1/3: Bei mir begann die Schule sehr früh – mit drei Jahren, in einem fremden Land und in einer unbekannten Kultur – und ich war allein. Wie das kam? Meine Familien stammt aus der Türkei, und als ich drei Jahre alt war, kamen wir nach Deutschland: Mein Vater, meine Mutter, meinen beiden Schwestern und ich. Mein Vater konnte schon ein wenig deutsch sprechen, doch meine Mutter und wir Kinder noch kein einziges Wort. Es war also meinen Eltern sehr wichtig, dass wir Kinder uns von Anfang an in die deutsche Gesellschaft integrieren und hier auch Karriere machen.

Kemal Arkin

Kemal Arkin

Mein Vater wusste, wie schwer es ist, deutsch zu lernen, wenn zu Hause nur türkisch gesprochen wird. Er war schon vor uns nach Deutschland gekommen und besuchte einige Wohn-Heime für kleine Kinder, in denen diese gezielt deutsch lernen können. Sein Sohn sollte einen guten Start haben und schon im Kindergarten deutsch sprechen können.

So kam es, dass – als ich nach Deutschland kam – schon entschieden war, dass ich zunächst drei Monate in einem Kinderheim in der Nähe unserer Wohnung, in Hamm verbringen sollte – mit Übernachtung. Nur an den Wochenenden sollte ich nach Hause dürfen. Natürlich hatte ich Angst und wollte nicht, aber da ich auch als kleines Kind schon viel Respekt vor meinem Vater hatte, sagte ich nichts und wagte es nicht, zu widersprechen.

Ich kann mich noch erinnern, wie meine Mutter mich zum Abschied ganz fest umarmte, immer wieder küsste und ganz furchtbar weinte. Dann ging es an der Hand meines Vaters los. Wir fuhren mit dem Zug zu dem Kinderheim. Während der Fahrt schaute ich die ganze Zeit stumm aus dem Fenster. Als wir angekommen waren, zeigte mir mein Vater das ganze Haus, die Umgebung, die Spielflächen und dann auch mein Zimmer. Er sagte zu mir: „Kemal-Pascha (er nannte mich immer „Pascha“ – Pascha heißt „Herr“) von nun an bleibst Du hier – das ist jetzt für einige Zeit Dein neues Zuhause. Hier kannst Du besser Deutsch lernen als zu Hause. Um Deutsch zu lernen – darum bist Du hier“. Das war also meine erste Schule. Ich verstand, obwohl ich noch so klein war, dass ich erst wieder nach Hause durfte, wenn ich diese Leistung erbracht hatte.

Mein Vater kniete zum Abschied vor mir nieder, küsste mich auf die Stirn und umarmte mich. Dann ging er. Ich wartete, bis er nicht mehr zu sehen war – wartete mit dem Weinen, denn ich wollte ihn auf keinen Fall traurig machen. Erst als ich ihn auch vom Fenster aus nicht mehr sehen konnte, brach ich in Tränen aus und konnte nicht mehr aufhören zu weinen – ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Eine deutsche Frau kam zu mir und nahm mich in die Arme. Sie wiegte und tröstete mich, bis ich aufhörte zu weinen.

Schnell gewöhnte ich mich an das Kinderheim und den Tagesablauf. Und ich lernte Deutsch! Mein Vater war ganz begeistert davon, so begeistert, dass er meinen Aufenthalt von drei Monaten auf sechs Monate verlängerte. Ich war so jung, dass ich mich sehr schnell einfand in mein neues Leben – doch das Heimweh blieb jede Minute bei mir. Mein Vater kam mehrmals in der Woche zu Besuch und meine Mutter und meine Schwestern kamen jedes Wochenende – und oft nahmen sie mich dann bis Sonntag abend mit nach Hause. Das machte mich glücklich.

Insgesamt ging die Zeit schnell herum. Alle Leute dort waren sehr nett und ich staunte über die deutsche Art und die vielen Sachen, die es dort gab. Auch das Essen schmeckte mir ganz gut. Die Kinder waren freundlich und es machte Spaß, mit ihnen zu spielen. Als die sechs Monate um waren, hatte ich schon gute Deutschkenntnisse und durfte dann auch endlich wieder nach Hause. Es war genau so gekommen, wie es sich mein Vater gewünscht hatte.

 

Kapitel 6:
Teil 1:Wie der kleine Kemal deutsch lernte – erzaehlt Kemal Arkin
Teil 2:Zum “Ernst des Lebens” kam Kemal Arkin
Teil 3:Das Studium? Ein Kampf fuer Kemal Arkin


4 Antworten to “Wie der kleine Kemal deutsch lernte – erzaehlt Kemal Arkin”

  1. holger schneider

    kemal,weischd,du noch,fleitmannstr.? gruss holger,du warst so klein,wolltest,aber immer dabei sei,da denke ich,an nihat,der war auch noch so jung,cadir,aski,öznur,und so weiter?

    Antworten
    • KemalArkin

      Hallo Holger,

      natürlich erinnere ich mich an die Fleitmannstr., wie kann ich das jemals Vergessen? Stimmt, ich war damals noch sehr klein und Du warst schon ein großer Junge. Ich denke, die Zeit war damals einfach super.

      Gruß
      Kemal Arkin

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  2. Sevim

    Echt krass! Diese Geschichte. Auf was für verrückte Ideen Eltern kommen, nur weil sie denken, dass es gut für die Kinder ist …
    Ich finde die Seite sehr gelungen!!

    Lieben Gruß
    Sevim

    Antworten
    • KemalArkin

      Hallo Sevim,

      ich verstehe Dich sehr gut, dass Du so denkst und Du hast auch nicht Unrecht. Ich denke, Unrecht haben meine Eltern auch nicht, mich mit drei Jahren in einem Kinderheim abzugeben (sechs Monate), denn die haben das Beste für mich gewollt und zwar dort Deutsch zu lernen. Zu Hause war das Beibringen unmöglich, weil die selber fast kein Deutsch konnten. Alles im Leben haben seine Vor- und Nachteile…
      Das freut mich, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meine Web-Seite besucht zu haben und Deine Meinung geschildert hast.

      Lieben Gruß zurück
      Kemal Arkin

      Antworten

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