Zum „Ernst des Lebens“ kam Kemal Arkin

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Teil 2/3: Mit dem Kindergarten hatte ich mich schnell angefreundet. Ich fühlte mich wohl dort. Mit vielen Kindern zusammen zu sein, hatte ich ja schon in den sechs Monaten im Kinderheim gelernt. Meine Erzieherinnen waren alle sehr nett zu mir – ich glaube, ich war ein „pflegeleichtes Kind“. Meine Mutter sagt heute noch, ich wäre immer ein pflegeleichtes Kind gewesen. Morgens brachte mich meine Mutter in den Kindergarten und holte mich auch wieder ab. Leider gingen meine Deutschkenntnisse dann doch wieder zurück, weil wir zu Hause immer türkisch sprachen. Kleine Kinder lernen schnell – aber sie verlernen auch sehr schnell, und das musste ich in der Schule dann merken.

In der Schule war ich in der ersten Klasse kein guter Schüler, ich musste die Klasse wiederholen. Ich war damals oft unkonzentriert und abwesend – verstand den Unterricht nicht gut. Mein Vater war damit überhaupt nicht einverstanden – tagelang schimpfte er mit mir und fragte immer wieder, wie es käme, dass ich sitzen geblieben sei. Ich hatte große Angst vor meinem Vater und nach dieser Erfahrung strengte ich mich doppelt an, um nicht noch einmal zu versagen.

Tatsächlich schaffte ich die erste Klasse und auch jedes weitere Jahr danach in der Grundschule. Doch gut genug für die Realschule war ich leider nicht, und so kam ich zur Hauptschule. Auch dort bin ich jedes Jahr weitergekommen, wurde aber immer noch kein wirklich guter Schüler. Ich schloss also meine Schulzeit mit dem Hauptschulabschluss ab und kam in die Lehre, machte eine Ausbildung zum Industriemechaniker/ Betriebstechnik.

Mir war die ganze Zeit über klar, dass ich es mit wenig Schulbildung schwer haben würde im Leben. Schon während der Ausbildung fing ich an, in der Abendschule bessere Schulabschlüsse nachzuholen. Jede Woche ging ich drei tage arbeiten, 2 Tage zur Berufsschule und abends zur Abendschule. In zwei Jahren holte ich meinen Realschulabschluss nach. Kurz zuvor war ich auch mit der Ausbildung fertig – Industriemechaniker / Betriebstechnik geworden und  verdiente nun gutes Geld.

Kemal Arkin

Kemal Arkin

Ich war sehr glücklich, dass ich das geschafft hatte. Nun hatte ich eine Ausbildung abgeschlossen und einen Realschulabschluss. Doch einfach hatte ich es in dieser Zeit nicht gehabt – ich musste einen hohen Preis zahlen und sehr viel lernen – oft bis in die Nacht.

Sieben Jahre später wollte ich wieder zur Schule gehen, diesmal hieß mein Ziel „Abitur“. Weil ich vollzeitbeschäftigt war, kam wieder nur die Abendschule in Frage. Tatsächlich habe ich auch diesen Abschluss innerhalb von drei Jahren geschafft. Ich musste mich in dieser zeit mit vielen Hindernissen auseinandersetzen, aber das hat mich nicht vom Weg abgebracht. So musste ich plötzlich – nachdem das Abendgymnasium begonnen hatte – Spät- und Nachtschicht machen, was bis dahin nie vorgekommen war.

Das war ein großes Problem, denn meine Kollegen wollten natürlich nicht gern tauschen. Ich löste das Problem so, dass ich jedem Kollegen, der mit mir tauschte, 100 Euro dafür gab, und so funktionierte es dann. Ich wollte so unbedingt die Schule schaffen, ich hätte auch noch mehr Geld dafür gezahlt.

Monatelang ging das so weiter. Immer wurde ich seit Schulbeginn zu Spät- und Nachtschichten eingeteilt – und später kam dann noch Mobbing hinzu (siehe Kapitel 1: „Und dann denkst Du an Selbstmord…“). Die Vorgesetzten wollten, dass ich mich entscheide: Schule oder Arbeit. Ich hatte mich schon längst für die Schule entschieden und kurze Zeit später kam dann die Kündigung.

Ich war ein begeisterter Schüler in der Abendschule, und vom ersten Tag an sorgte ich dafür, dass ich über Nachhilfeunterricht auch gut mitkam. Jeden Monat zahlte ich für die Nachhilfeschule 350 Euro, ich wollte nichts dem Zufall überlassen. Das war gut investiert, denn ich konnte gleichzeitig in fünf Fächern Nachhilfe nehmen (Mathe, Deutsch, Geschichte, Biologie und Französisch) und war immer bestens vorbereitet dank meiner Nachhilfelehrerinnen – Frau Betina Michelbach, Frau Gruber und Frau Magiela.

In der ersten (also der elften) Klasse fiel mir alles noch sehr leicht, ich hätte es auch ohne Nachhilfe geschafft. Doch ich war froh, mich so entschieden zu haben, denn ab der zwölften Klasse hatte ich Probleme – vor allem in Mathematik (Kurvendiskussion). Meine Leistungsfächer in der 13. Klasse waren Mathe und Geschichte und Grundfächer Deutsch und Biologie. Es war eben schon schwer für mich: Arbeit, Schule, Nachhilfe, die Ablehnung meiner Kollegen – und oft habe ich bis in die Nacht gelernt, es war wirklich schwer.

Ich habe dann doch alle Klassen geschafft und Abitur gemacht. Besonders meiner Französischlehrerin habe ich sehr viel zu verdanken – Frau Gruber, sie brachte mir mehr bei, als in der Schule verlangt wurde. Ich habe leidenschaftlich Französisch gelernt, da ich wusste, dass Atatürk sehr gut französisch gesprochen hat, und Atatürk ist mein großes Vorbild.

Ich möchte mich an dieser Stelle noch bedanken und zwei Namen nennen von Menschen, die mir in dieser Zeit sehr geholfen haben: Mein Deutschlehrer Herr Peters und mein Geschichtslehrer Herr Velten – vielen Dank. Sie waren wie ein Vater für mich.

 

Kapitel 6:
Teil 1:Wie der kleine Kemal deutsch lernte – erzaehlt Kemal Arkin
Teil 2:Zum “Ernst des Lebens” kam Kemal Arkin
Teil 3:Das Studium? Ein Kampf fuer Kemal Arkin


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